Bei Dublin-Überstellungsverfahren geht die Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylverfahrens auf die Bundesrepublik über, wenn der Betroffene nicht innerhalb der Höchstfrist des Art. 29 Dublin-III-Verordnung an den zuständigen Dublin-Staat überstellt wird (Kaniess Abschiebungshaft-HdB Rn. 209). Dauer (6/12/18 Monate) und Lauf dieser Höchstfrist können aus vielerlei Gründen schwierig zu bestimmen sein (Kaniess aaO Rn. 239 ff.).
Nach Ablauf der Höchstfrist mit der Folge der Zuständigkeitsverlagerung kann nicht mehr überstellt werden, so dass grds. kein durch Haft sicherungsfähiges Überstellungsverfahren mehr besteht. Allerdings betrifft dies die inhaltliche Frage, ob die Behörde das Verfahren zu Recht betreibt. Damit obliegt „die Prüfung, ob eine Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverpflichtung des Zielstaates (…) entstanden und nicht wieder entfallen ist, grundsätzlich den Verwaltungsgerichten. Der Haftrichter ist an die Verwaltungsakte gebunden, die der Überstellung zugrunde liegen“ (BGH Beschl. v. 24.6.2020 – XIII ZB 39/19 – juris-Rn. 29). Die Einhaltung der Höchstfrist ist daher bei Bestehen eines Bescheides nicht zu prüfen (BGH Beschl. v. 25.8.2020 – XIII ZB 45/19 – juris-Rn. 16). Sie wird für den Haftrichter nur noch in den sehr seltenen Fällen einer einstweiliger Anordnung vor Erlass des Bescheides (Kaniess aaO Rn. 218) relevant.
Abseits der Höchstfrist ist die Überstellungsfrist des Art. 28 Abs. 3 UAbs. 3 Dublin-III-Verordnung haftrichterlich relevant. Sie betrifft die Frage, wann die Überstellung nach einer Haftanordnung durchgeführt werden muss (Kaniess aaO Rn. 235 ff.) und ist das Äquivalent zum Prüfungspunkt der fristgemäßen Durchführbarkeit der Abschiebung bei der Sicherungshaft (§ 62 Abs. 3 S. 3 AufenthG). Ist das Verfahren zur Zuständigkeitsbestimmung bei Haftanordnung noch nicht abgeschlossen, ergibt sich ein konkretes mehrstufiges Fristenregime von zuletzt sechs Wochen (Art. 28 Abs. 3 UAbs. 1 bis 3 Dublin-III-Verordnung; dazu iE Kaniess aaO Rn. 236 ff.).
Andernfalls darf die Haft nicht wesentlich länger als sechs Wochen dauern (EuGH Urt. v. 13.9.2017 – C-60/16 – NVwZ 2018, 46 – juris-Rn. 39 ff., 45; Kaniess aaO Rn. 235). Daher übersteigt „eine Haftdauer von drei (…) Monaten (…) den Zeitraum, der bei angemessener Handlungsweise notwendig ist (…), bis die Überstellung durchgeführt wird“ (EuGH aaO juris-Rn. 46). Mitunter werden stattdessen jedoch nationalrechtliche Vorschriften der Sicherungshaft (§§ 62 Abs. 3 S. 3, Abs. 4 AufenthG) analog angewendet (Grotkopp Abschiebungshaft Rn. 236, der insofern aber zu Recht Bedenken äußert). Auch der BGH geht nunmehr davon aus, dass in der „Überstellungshaft (… die …) Dreimonatsfrist des § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG“ laufe (BGH Beschl. v. 25.8.2020 – XIII ZB 45/19 – juris-Rn. 19), und beurteilt die Ausnutzung dieser Frist nur nach dem Übermaßver- und Beschleunigungsgebot.
Auswirkung auf die Praxis:
Mit dem Ausscheiden der Prüfung der Einhaltung der Höchstfrist entschlackt der BGH das haftrichterliche Prüfungsprogramm erneut. Er setzt damit die Rspr.-Linie fort, die Prüfungskompetenz des Haftrichters von der der Verwaltungsgerichte klar abzugrenzen (vgl. hier im Blog). Ob sich die fristgemäße Überstellung entgegen dem EuGH aber an der drei-Monats-Vorgabe des § 62 AufenthG messen lassen soll, mag man in Zweifel ziehen. Überstellungen im Dublin-Verfahren sind erheblich einfacher als Abschiebungen in Drittstaaten. Das spricht neben dem systematischen Vergleich mit Art. 28 Abs. 3 UAbs. 3 Dublin-III-Verordnung dafür, wesentliche Überschreitungen der sechs Wochen jedenfalls als grds. unverhältnismäßig zu beurteilen.
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