Mit Inkrafttreten des sog. Rückführungsverbesserungsgesetzes wird sich für die rechtsanwaltliche Vertretung d. Betr. in Haftverfahren eine erhebliche Neuerung ergeben:
Nach § 62d AufenthG nF wird Betr., die nicht anwaltlich vertreten sind, für die Dauer des Verfahrens verpflichtend anwaltliche Vertretung als Bevollmächtigte/r („Pflichtbeiordnung“) bestellt. Damit trägt der Gesetzgeber der Komplexität und angesichts der Haftsituation eingeschränkten Verteidigungsfähigkeit d. Betr. Rechnung (BT-Drs. 20/10090, S. 18). Für diese erst spät – nämlich in der Ausschuss-Fassung einen Tag vor Verabschiedung im Bundestag – eingefügte Neuerung sind folgende Aspekte relevant:
- Die Norm ist anwendbar auf die Haftarten der Sicherungs-, Vorbereitungs- und Mitwirkungshaft (§ 62 AufenthG), Überstellungshaft (§ 2 Abs. 14 S. 1 AufenthG nF) und den Ausreisegewahrsam (§ 62b AufenthG). Nach dem Wortlaut nicht erfasst sind die übrigen Haftarten, zB Ergänzende Vorbereitungshaft (§ 62c AufenthG), Zurückweisungshaft und Transitgewahrsam (§ 15 AufenthG) etc. Für die Zurückschiebungshaft kann man wg. der in § 57 Abs. 3 AufenthG getroffenen Anordnung entsprechender Geltung des (erfassten) § 62 AufenthG eine Analogie erwägen. Für nicht erfasste Haft- und Gewahrsamsarten verbleibt iÜ nur die Möglichkeit der Beiordnung iRv Verfahrenskostenhilfe (dazu Kaniess Abschiebungshaft-HdB, 2. Aufl. 2024, Kap. 13 Rn. 45 ff.).
- Die Norm ist ihrem Wortlaut her anwendbar auf die Verfahrensarten der „Entscheidung über die Anordnung von Abschiebungshaft“, also erstmalige Haft- und nachfolgende Verlängerungsanträge. Hierzu gehören systematisch Abhilfeverfahren (§ 68 FamFG) und in diesem Rahmen Rechtswidrigkeitsfeststellung (§ 62 FamFG) der urspr. Anordnung oder Verlängerung (Wortlaut: „Dauer des Verfahrens“). Die Geltung für Haftaufhebungs- (§ 426 FamFG und in diesem Rahmen Rechtswidrigkeitsfeststellung [§ 62 FamFG]) und Haftaussetzungsverfahren (§ 424 FamFG) ergibt sich aus dem Wortlaut nicht; sie sind prozessrechtlich eigenständige Verfahren (Kaniess aaO Kap. 13 Rn. 168 ff.), die nicht auf „Anordnung von“ Haft (§ 62d AufenthG), sondern deren Aufhebung bzw. Außervollzugsetzung gerichtet sind. Für sie kann § 62d AufenthG daher allenfalls analog greifen, sieht man neben der Regelungslücke eine vergleichbare Interessenlage.
- Das Verfahrensrecht für die Bestellung ist nicht geregelt. Das iÜ anwendbare FamFG kennt eine isolierte Beiordnung abseits von § 138 FamFG (für Scheidungsverfahren und nicht mit Folge einer Bevollmächtigung, sondern nur Beistandsschaft, Weber in Sternal, FamFG, 21. Aufl. 2024, § 138 Rn. 8) nicht. Wonach sich Auswahl, Beiordnung, Austausch, Rechtsmittel, etc. richten, ist daher offen. Neben den rudimentären §§ 78b f. ZPO böte sich ggf. eine Handhabung analog §§ 141 ff. StPO an, die erstens der Haftmaterie gerecht würden und zweitens ein ausdifferenziertes System enthielten.
- Bei einer Handhabung analog §§ 141 ff. StPO wäre eine Beiordnung entsprechend § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO iFd Ablehnung eines Antrages im Dezernatswege (oder, bei Vorab-Haftanträgen, bis zur Ergreifung; anklingend in BR-Drs. 21/24 S. 2 letzter Absatz) nicht erforderlich, was mit dem Schutzzweck des § 62d AufenthG vereinbar ist. Im Übrigen müssten Betr. befragt werden, welche/r RA/in gewünscht wird (§ 142 Abs. 5 S. 1 StPO) und es müsste versucht werden, diese/n zT herbeizurufen, um den Termin mit Beiordnung grds. in Anwesenheit d. RA/in durchzuführen. Ohne konkreten Wunsch d. Betr. müsste gerichtlicherseits ausgewählt und beigeordnet werden (§ 142 Abs. 6 S. 1 StPO) mit nachfolgender Möglichkeit einer Auswechslung (§ 143a Abs. 2 StPO). Bei Unerreichbarkeit oder nicht rechtzeitiger Anreisemöglichkeit d. gewünschten RA/in wäre ein ebensolches Vorgehen denkbar (§ 142 Abs. 5 S. 3 StPO), was der bisherigen Handhabung – Termin ohne anwaltliche Beteiligung, einstweilige Entscheidung und neuer Hauptsache-Termin (zG Kaniess aaO Kap. 13 Rn. 40 ff.) – unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks (Sicherstellung tatsächlicher Verteidigung) vorzuziehen sein könnte.
- Ein entsprechender Beiordnungsbeschluss könnte nach alledem zB wie folgt gefasst werden: „D. Betr. wird gem. § 62d AufenthG RA/in … für die Dauer des Verfahrens als Bevollmächtigte/r bestellt.“
Auswirkung auf die Praxis:
In der Sache ist ein weitgehender Gleichlauf rechtsanwaltlicher Beteiligung in Verfahren der Abschiebungshaft mit Haft in Zusammenhang mit Straftaten konsequent: Schlechterdings war schon bisher schwer vermittelbar, warum Beschuldigte zB in (einfachen Laden-)Diebstahlsverfahren iFd Haftvorführung notwendig rechtsanwaltliche Hilfe erhalten, Betroffene in der komplexen Materie des AufenthG aber nicht.
Allerdings wirft § 62d AufenthG nF mehr Fragen auf, als die Norm beantwortet. Neben der systematisch unklaren Stellung außerhalb des FamFG („zur besseren Sichtbarkeit“ im AufenthG, BT-Drs. 20/10090, S. 18) und wenig überzeugender Differenzierung im Anwendungsbereich wird vor allem die fehlende Regelung zum Verfahren der Praxis nicht wenige Schwierigkeiten und unnötige Unklarheiten bereiten.