Mit Inkrafttreten des sog. Rückführungsverbesserungsgesetzes werden sich sich für die Sicherungshaft (§ 62 Abs. 3 AufenthG) folgende Änderungen ergeben:
- Der Haftgrund der unerlaubten Einreise (§ 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 AufenthG) wird um die Fälle der (praktisch seltenen) sog. Overstayer erweitert. War die Nichtausreise nach erlaubter Einreise und Ende rechtmäßigen Aufenthaltes (zB durch Ablauf 90 Tage visumsfreien Aufenthalts) bisher ein Indiztatbestand für Fluchtgefahr (§ 62 Abs. 3b Nr. 7 AufenthG aF), entfällt letzterer und das Overstaying unterfällt nun der erweiterten Norm. Anders, als bisher (Kaniess Abschiebungshaft-HdB, 2. Aufl. 2024, Kap. 2 Rn. 100 ff.), ist die Erreichbarkeit d. Betr. durch Mitteilung einer Adresse für den Tatbestand nicht mehr relevant, was ihn verschärft. Dieser Aspekt bleibt aber für die Glaubhaftmachung fehlender Entziehungsabsicht (§ 62 Abs. 3 S. 2 AufenthG) berücksichtigungsfähig.
- Der neue Haftgrund des Aufenthaltes entgegen Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 AufenthG nF) ersetzt die bisherige Verortung als (nun entfallender) Vermutungstatbestand iRd Fluchtgefahr (§ 62 Abs. 3a Nr. 4 AufenthG). Anders als beim Haftgrund unerlaubter Einreise hindert eine Unterbrechung durch Zeiten rechtmäßigen Aufenthaltes nicht (zG Kaniess aaO Kap. 2 Rn. 67, 105 f.). Zwar ist der neue Haftgrund – anders, also zuvor in § 62 Abs. 3a AufenthG – nicht mehr widerlegbar. Angesichts der Notwendigkeit „einzelfallbezogener Prüfung“ und fehlender Erforderlichkeit von Haft bei mangelnder Entziehungsabsicht (BT-Drs. 20/9463 S. 47), dürfte das im praktischen Ergebnis aber keine Änderung bedeuten; der Tatbestand war und bleibt ein scharfes Schwert.
- Die Regel- und grds. Höchsthaftdauer (§ 62 Abs. 3 S. 3, Abs. 4 S. 1 AufenthG) beträgt nun sechs Monate. Ein Überschreiten der bisherigen drei Monate setzt damit kein Verschulden, Gefährlichkeit oder besondere Umstände (dazu noch Kaniess aaO Kap. 2 Rn. 117) mehr voraus. Nach wie vor muss die Haftdauer allerdings so kurz wie möglich gehalten werden.
- Für (Familien mit) Minderjährige(n) verstärkt § 62 Abs. 1 S. 3 AufenthG den Schutz und stellt damit klar, dass es „außergewöhnlicher Umstände“ für eine Haft bedürfte (BT-Drs. 20/10090, S. 17 f.). Die Fälle sind allerdings in der Praxis ohnehin selten und stellen erhebliche Anforderungen zB auch an den Haftvollzug (Kaniess aaO Kap. 2 Rn. 158 ff.).
- Ein staatsanwaltschaftliches Einvernehmen (§ 72 Abs. 4 AufenthG; zG Kaniess aaO Kap. 2 Rn. 132 ff.) ist für die in S. 4 f. genannten Delikte auch im Falle von Tatmehrheit (§ 53 StGB) oder Strafantragstellung nun nicht mehr erforderlich.
Auswirkung auf die Praxis:
Mit der Veränderung der Haftgründe geht ein Verlust an Systematik einher. Dass sich die Zahl subsumtionsfähiger Sachverhalte erhöhen dürfte, ist bei Abs. 3 S. 1 Nr. 2 mangels Praxisrelevanz kaum und bei Nr. 4 nicht zu erwarten. Um Einreise- und Aufenthaltsverbote „effektiver vollziehen zu können“ (BT-Drs. 20/9463, S. 47), hätte es der Änderung weder bedurft, noch trägt sie erkennbar etwas hierzu bei.
Die Anhebung der Haft-Höchstdauer entbindet nun von bisweilen komplexer Feststellung der alten Tatbestände im drei-bis-sechs-Monats-Haftbereich (dazu Kaniess aaO Kap. 2 Rn. 117 ff.). Allerdings spielt sich schon bisher das Gros der Fälle ohnehin im Bereich der alten drei-Monats-Grenze ab.
Die Änderung zum Einvernehmen dürfte materiell wenig bedeutsam werden: Schon bisher war in diesen Fällen regelmäßig mit der Erteilung des Einvernehmens zu rechnen, was ausreicht (Kaniess aaO Kap. 2 Rn. 136 f.). Auch prozessual ist der Unterschied marginal: Nach wie vor muss behördlich dargelegt werden, warum mit der Erteilung des Einvernehmens zu rechnen oder es nicht erforderlich ist (Kaniess Kap. 12 Rn. 77 ff.), so dass sich hierdurch lediglich die Anzahl der Fälle von der einen zur anderen Fallgruppe verschiebt.