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Kategorie: Nachrichten

Nachrichten aus der Rechtsprechung und Literatur zur Abschiebungshaft

Rückführungsverbesserungsgesetz tritt in Kraft (VerRückG)

Das sog. „Rückführungsverbesserungsgesetz“ (VerRückG) ist am 26.02.2024 im Bundesgesetz verkündet worden. Es tritt damit zum 27.02.2024 in Kraft.

Über die wesentlichen Änderungen ist bereits hier im Blog berichtet worden:

Im Download-Bereich stehen ab sofort aktualisierte Muster (Stand: 2024.02.27) mit den durch das VerRückG bedingten Änderungen in Beiordnungs-, Ablehnungs- und Haftbeschlüssen sowie der Sitzungsniederschrift zur Verfügung.

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Asylantragstellung: Neuerungen 2024 (VerRückG)

Mit Inkrafttreten des sog. Rückführungsverbesserungsgesetzes wird sich für die Asylantragstellung folgende Änderung ergeben:

  • Nach § 14 Abs. 3 AsylG steht die Asylantragstellung der Anordnung oder Aufrechterhaltung von Abschiebungshaft (womit grds. alle Arten von Haft-/Gewahrsam gemeint sind, Kaniess Abschiebungshaft-HdB, 2. Aufl. 2024, Kap. 2 Rn. 17) nicht mehr entgegen, wenn sich d. Betr. zum Zeitpunkt derselben „in Haft oder sonstigem öffentlichen Gewahrsam“ befindet oder bei Antragstellung „die Voraussetzungen der Abschiebungshaft vor(gelegen)“ haben. Nach Haftanordnung muss das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) weiterhin binnen vier Wochen über den Asylantrag entscheiden. Die Haft endet mit Zuerkennung eines Schutzstatus oder Fristablauf und bleibt aufrechterhalten, soweit der Asylantrag (unerheblich, aus welchen Gründen, § 14 Abs. 3 S. 3 AsylG nF) abgelehnt wird.

Auswirkung für die Praxis:

Die bisherige Rechtslage konnte bisweilen zu einem „Wettlauf“ zwischen Haft und Asylantrag führen (Kaniess aaO Kap. 5 Rn. 3). Denn bei in oder unmittelbar vor der Haftanhörung geäußerten Asylerstanträgen kam es darauf an, ob diese vor oder nach der gerichtlichen Entscheidung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eingingen; je nachdem lösten sie eine Aufenthaltsgestattung gem. § 55 AsylG aus oder nicht (Kaniess aaO Kap. 2 Rn. 14 ff.).

Mit der neuen Fassung entfällt diese Differenzierung: Mit Festnahme d. Betr. („öffentlicher Gewahrsam“) sind Asylantragstellungen für das Haftgericht grds. unbeachtlich. In solchen Fällen muss sich das Gericht lediglich nach Haftanordnung mit einer Haftkontrollfrist vergewissern, dass die Zeitvorgaben für die Entscheidung des BAMF in § 14 Abs. 3 AufenthG (bzw. für eine Wiederaufnahmeprüfung bei Zweit– oder Folgeanträgen, Kaniess aaO Kap. 2 Rn. 13) eingehalten werden; anders, als bisher, kann die Haft bei jeder Ablehnung durch das BAMF aufrecht erhalten bleiben (zur früheren Differenzierung nach einfach oder offensichtlich unbegründet, Kaniess aaO Kap. 2. Rn. 17).

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Prozessrecht: Neuerungen 2024 (VerRückG)

Mit Inkrafttreten des sog. Rückführungsverbesserungsgesetzes werden sich prozessual folgende Änderungen ergeben:

  • Nach § 427 Abs. 3 FamFG nF genügt künftig für eine Vorab-Haftanordnung ohne Anhörung (dazu Kaniess Abschiebungshaft-HdB, 2. Aufl. 2024, Kap. 11 Rn. 3, Kap. 13 Rn. 12 f.), dass eine „vorherige Anhörung den Zweck der Anordnung gefährden würde“. Zwar wurde die von § 427 Abs. 2 FamFG vorausgesetzte Gefahr im Verzug praktisch bisher ebenso verstanden (Kaniess aaO ebd.); künftig werden Fälle der Gefahr des Untertauchens bei Ladung zur Anhörung nach dem Willen des Gesetzgebers (BT-Drs. 20/9463 S. 64) aber dem neuen Abs. 3 unterfallen. Die Anhörung ist nach Ergreifen unverzüglich nachzuholen (§ 427 Abs. 3 S. 2 FamFG nF).
  • Das behördliche Beschwerderecht iFd Haftablehnung (welche bei Freilassung d. Betr. eine Erledigung des Verfahrens begründet) war bisher eingeschränkt und konnte praktisch regelmäßig allenfalls die Kostenentscheidung betreffen (zG Kaniess aaO Kap. 14 Rn. 23, Kap. 13 Rn. 237 f.). Durch § 62 Abs. 3 FamFG nF liegt nun aber für eine auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ablehnung gestützte Beschwerde behördlicherseits ein Feststellungsinteresse vor, soweit die Sache grundsätzliche Bedeutung hat oder zur Rechtsfortbildung oder Sicherung einheitlicher Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 70 Abs. 2 S. 1 FamFG; zu diesen Kriterien Kaniess aaO Kap. 14 Rn. 99). Da das Ausgangsgericht die Zulässigkeit einer Beschwerde – und damit die Einschlägigkeit dieser Kriterien – nicht zu prüfen hat (Kaniess aaO Kap. 13 Rn. 210), muss es in einem Abhilfeverfahren immer sachlich über einen solchen behördlichen Feststellungsantrag entscheiden.

Auswirkung auf die Praxis:

Zur rechtsanwaltlichen Beteiligung vgl. Blogbeitrag.

Die Zahl von Vorab-Haftanträgen bei bekanntem Wohnsitz war bisher gering, was jedoch auch an Ungewissheit im Umgang mit den Kriterien des § 427 Abs. 2 FamFG lag. Der neue Abs. 3 klärt diese Fälle; ob damit eine Steigerung der Fälle von Haftanträgen zu erwarten ist, dürfte jedoch fraglich sein, da sich bei bekanntem Wohnsitz grds. die Frage der Erforderlichkeit der Haft wg. der Möglichkeit eines Zugriffs für eine Direktabschiebung stellt.

Das behördliche Beschwerderecht dürfte wg. der Bindung an die Kriterien des § 70 Abs. 2 S. 1 FamFG weniger in der landgerichtlichen, als in der amtsgerichtlichen Praxis relevant werden. Eine große Rolle wird es vrsl. nicht spielen. Denn das Gros behördlicher Haftanträge scheitert iFd Ablehnung an den Darlegungsanforderungen des § 417 FamFG (Kaniess aaO Kap. 12). Da für die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Haftablehnung nach § 62 FamFG auf den Zeitpunkt des Eintritts der Erledigung (=Freilassung) abzustellen ist, führt eine Nachholung mangelhafter Darlegungen in einer Beschwerde nicht zum Erfolg derselben. Da iÜ die Darlegungsanforderungen erheblich bzw. nachgerade umfassend durch den BGH geklärt sind (Kaniess aaO), wird es in diesen Fällen regelmäßig an den die Beschwerde zulässig machenden Kriterien des § 70 Abs. 2 S. 1 FamFG fehlen und das Landgericht daher keine Sachentscheidung mehr treffen müssen.

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Notwendige RA/in-Beteiligung: Neuerungen 2024 (VerRückG)

Mit Inkrafttreten des sog. Rückführungsverbesserungsgesetzes wird sich für die rechtsanwaltliche Vertretung d. Betr. in Haftverfahren eine erhebliche Neuerung ergeben:

Nach § 62d AufenthG nF wird Betr., die nicht anwaltlich vertreten sind, für die Dauer des Verfahrens verpflichtend anwaltliche Vertretung als Bevollmächtigte/r („Pflichtbeiordnung“) bestellt. Damit trägt der Gesetzgeber der Komplexität und angesichts der Haftsituation eingeschränkten Verteidigungsfähigkeit d. Betr. Rechnung (BT-Drs. 20/10090, S. 18). Für diese erst spät – nämlich in der Ausschuss-Fassung einen Tag vor Verabschiedung im Bundestag – eingefügte Neuerung sind folgende Aspekte relevant:

  • Die Norm ist anwendbar auf die Haftarten der Sicherungs-, Vorbereitungs- und Mitwirkungshaft (§ 62 AufenthG), Überstellungshaft (§ 2 Abs. 14 S. 1 AufenthG nF) und den Ausreisegewahrsam (§ 62b AufenthG). Nach dem Wortlaut nicht erfasst sind die übrigen Haftarten, zB Ergänzende Vorbereitungshaft (§ 62c AufenthG), Zurückweisungshaft und Transitgewahrsam (§ 15 AufenthG) etc. Für die Zurückschiebungshaft kann man wg. der in § 57 Abs. 3 AufenthG getroffenen Anordnung entsprechender Geltung des (erfassten) § 62 AufenthG eine Analogie erwägen. Für nicht erfasste Haft- und Gewahrsamsarten verbleibt iÜ nur die Möglichkeit der Beiordnung iRv Verfahrenskostenhilfe (dazu Kaniess Abschiebungshaft-HdB, 2. Aufl. 2024, Kap. 13 Rn. 45 ff.).
  • Die Norm ist ihrem Wortlaut her anwendbar auf die Verfahrensarten der „Entscheidung über die Anordnung von Abschiebungshaft“, also erstmalige Haft- und nachfolgende Verlängerungsanträge. Hierzu gehören systematisch Abhilfeverfahren (§ 68 FamFG) und in diesem Rahmen Rechtswidrigkeitsfeststellung (§ 62 FamFG) der urspr. Anordnung oder Verlängerung (Wortlaut: „Dauer des Verfahrens“). Die Geltung für Haftaufhebungs- (§ 426 FamFG und in diesem Rahmen Rechtswidrigkeitsfeststellung [§ 62 FamFG]) und Haftaussetzungsverfahren (§ 424 FamFG) ergibt sich aus dem Wortlaut nicht; sie sind prozessrechtlich eigenständige Verfahren (Kaniess aaO Kap. 13 Rn. 168 ff.), die nicht auf „Anordnung von“ Haft (§ 62d AufenthG), sondern deren Aufhebung bzw. Außervollzugsetzung gerichtet sind. Für sie kann § 62d AufenthG daher allenfalls analog greifen, sieht man neben der Regelungslücke eine vergleichbare Interessenlage.
  • Das Verfahrensrecht für die Bestellung ist nicht geregelt. Das iÜ anwendbare FamFG kennt eine isolierte Beiordnung abseits von § 138 FamFG (für Scheidungsverfahren und nicht mit Folge einer Bevollmächtigung, sondern nur Beistandsschaft, Weber in Sternal, FamFG, 21. Aufl. 2024, § 138 Rn. 8) nicht. Wonach sich Auswahl, Beiordnung, Austausch, Rechtsmittel, etc. richten, ist daher offen. Neben den rudimentären §§ 78b f. ZPO böte sich ggf. eine Handhabung analog §§ 141 ff. StPO an, die erstens der Haftmaterie gerecht würden und zweitens ein ausdifferenziertes System enthielten.
  • Bei einer Handhabung analog §§ 141 ff. StPO wäre eine Beiordnung entsprechend § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO iFd Ablehnung eines Antrages im Dezernatswege (oder, bei Vorab-Haftanträgen, bis zur Ergreifung; anklingend in BR-Drs. 21/24 S. 2 letzter Absatz) nicht erforderlich, was mit dem Schutzzweck des § 62d AufenthG vereinbar ist. Im Übrigen müssten Betr. befragt werden, welche/r RA/in gewünscht wird (§ 142 Abs. 5 S. 1 StPO) und es müsste versucht werden, diese/n zT herbeizurufen, um den Termin mit Beiordnung grds. in Anwesenheit d. RA/in durchzuführen. Ohne konkreten Wunsch d. Betr. müsste gerichtlicherseits ausgewählt und beigeordnet werden (§ 142 Abs. 6 S. 1 StPO) mit nachfolgender Möglichkeit einer Auswechslung (§ 143a Abs. 2 StPO). Bei Unerreichbarkeit oder nicht rechtzeitiger Anreisemöglichkeit d. gewünschten RA/in wäre ein ebensolches Vorgehen denkbar (§ 142 Abs. 5 S. 3 StPO), was der bisherigen Handhabung – Termin ohne anwaltliche Beteiligung, einstweilige Entscheidung und neuer Hauptsache-Termin (zG Kaniess aaO Kap. 13 Rn. 40 ff.) – unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks (Sicherstellung tatsächlicher Verteidigung) vorzuziehen sein könnte.
  • Ein entsprechender Beiordnungsbeschluss könnte nach alledem zB wie folgt gefasst werden: „D. Betr. wird gem. § 62d AufenthG RA/in … für die Dauer des Verfahrens als Bevollmächtigte/r bestellt.“

Auswirkung auf die Praxis:

In der Sache ist ein weitgehender Gleichlauf rechtsanwaltlicher Beteiligung in Verfahren der Abschiebungshaft mit Haft in Zusammenhang mit Straftaten konsequent: Schlechterdings war schon bisher schwer vermittelbar, warum Beschuldigte zB in (einfachen Laden-)Diebstahlsverfahren iFd Haftvorführung notwendig rechtsanwaltliche Hilfe erhalten, Betroffene in der komplexen Materie des AufenthG aber nicht.

Allerdings wirft § 62d AufenthG nF mehr Fragen auf, als die Norm beantwortet. Neben der systematisch unklaren Stellung außerhalb des FamFG („zur besseren Sichtbarkeit“ im AufenthG, BT-Drs. 20/10090, S. 18) und wenig überzeugender Differenzierung im Anwendungsbereich wird vor allem die fehlende Regelung zum Verfahren der Praxis nicht wenige Schwierigkeiten und unnötige Unklarheiten bereiten.

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Überstellungshaft (Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO): Neuerungen 2024 (VerRückG)

Mit Inkrafttreten des sog. Rückführungsverbesserungsgesetzes werden sich für die Überstellungshaft (Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung) folgende Änderungen ergeben:

  • Die Verweisnorm § 2 Abs. 14 S. 1 AufenthG erfasst auch den aus § 62 Abs. 3a Nr. 4 AufenthG aF ausgegliederten Verstoß gegen ein Einreise- und Aufenthaltsverbot in § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 AufenthG nF; es verbleibt damit beim Gleichlauf der Tatbestände. 
  • Ein staatsanwaltschaftliches Einvernehmen (§ 72 Abs. 4 AufenthG; zG Kaniess aaO Kap. 2 Rn. 132 ff.) ist für die in S. 4 f. genannten Delikte auch im Falle von Tatmehrheit (§ 53 StGB) oder Strafantragstellung nun nicht mehr erforderlich.

Auswirkung auf die Praxis:

In der Überstellungshaft ändert sich iW nur die Verweiskette. Auch dürfte es dem nationalen Gesetzgeber freistehen, den Verstoß gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 AufenthG) unionsrechtlich als einen Fall „erheblicher Fluchtgefahr“ (Art. 2 lit. n Dublin-III-Verordnung) zu definieren, obgleich er nationalrechtlich nicht (mehr) der Fluchtgefahr iSd § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AufenthG unterfällt. Denn § 2 Abs. 14 S. 1 AufenthG definiert autark und von § 62 Abs. 3 ff. AufenthG unabhängig, was „Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n (Dublin-III-Verordnung)“ ist und erfasst einen insofern historisch auch einschlägigen Fall.

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Sicherungshaft (§ 62 Abs. 3 AufenthG): Neuerungen 2024 (VerRückG)

Mit Inkrafttreten des sog. Rückführungsverbesserungsgesetzes werden sich sich für die Sicherungshaft (§ 62 Abs. 3 AufenthG) folgende Änderungen ergeben:

  • Der Haftgrund der unerlaubten Einreise (§ 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 AufenthG) wird um die Fälle der (praktisch seltenen) sog. Overstayer erweitert. War die Nichtausreise nach erlaubter Einreise und Ende rechtmäßigen Aufenthaltes (zB durch Ablauf 90 Tage visumsfreien Aufenthalts) bisher ein Indiztatbestand für Fluchtgefahr (§ 62 Abs. 3b Nr. 7 AufenthG aF), entfällt letzterer und das Overstaying unterfällt nun der erweiterten Norm. Anders, als bisher (Kaniess Abschiebungshaft-HdB, 2. Aufl. 2024, Kap. 2 Rn. 100 ff.), ist die Erreichbarkeit d. Betr. durch Mitteilung einer Adresse für den Tatbestand nicht mehr relevant, was ihn verschärft. Dieser Aspekt bleibt aber für die Glaubhaftmachung fehlender Entziehungsabsicht (§ 62 Abs. 3 S. 2 AufenthG) berücksichtigungsfähig.
  • Der neue Haftgrund des Aufenthaltes entgegen Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 AufenthG nF) ersetzt die bisherige Verortung als (nun entfallender) Vermutungstatbestand iRd Fluchtgefahr (§ 62 Abs. 3a Nr. 4 AufenthG). Anders als beim Haftgrund unerlaubter Einreise hindert eine Unterbrechung durch Zeiten rechtmäßigen Aufenthaltes nicht (zG Kaniess aaO Kap. 2 Rn. 67, 105 f.). Zwar ist der neue Haftgrund – anders, also zuvor in § 62 Abs. 3a AufenthG – nicht mehr widerlegbar. Angesichts der Notwendigkeit „einzelfallbezogener Prüfung“ und fehlender Erforderlichkeit von Haft bei mangelnder Entziehungsabsicht (BT-Drs. 20/9463 S. 47), dürfte das im praktischen Ergebnis aber keine Änderung bedeuten; der Tatbestand war und bleibt ein scharfes Schwert.
  • Die Regel- und grds. Höchsthaftdauer (§ 62 Abs. 3 S. 3, Abs. 4 S. 1 AufenthG) beträgt nun sechs Monate. Ein Überschreiten der bisherigen drei Monate setzt damit kein Verschulden, Gefährlichkeit oder besondere Umstände (dazu noch Kaniess aaO Kap. 2 Rn. 117) mehr voraus. Nach wie vor muss die Haftdauer allerdings so kurz wie möglich gehalten werden.
  • Für (Familien mit) Minderjährige(n) verstärkt § 62 Abs. 1 S. 3 AufenthG den Schutz und stellt damit klar, dass es „außergewöhnlicher Umstände“ für eine Haft bedürfte (BT-Drs. 20/10090, S. 17 f.). Die Fälle sind allerdings in der Praxis ohnehin selten und stellen erhebliche Anforderungen zB auch an den Haftvollzug (Kaniess aaO Kap. 2 Rn. 158 ff.).
  • Ein staatsanwaltschaftliches Einvernehmen (§ 72 Abs. 4 AufenthG; zG Kaniess aaO Kap. 2 Rn. 132 ff.) ist für die in S. 4 f. genannten Delikte auch im Falle von Tatmehrheit (§ 53 StGB) oder Strafantragstellung nun nicht mehr erforderlich.

Auswirkung auf die Praxis:

Mit der Veränderung der Haftgründe geht ein Verlust an Systematik einher. Dass sich die Zahl subsumtionsfähiger Sachverhalte erhöhen dürfte, ist bei Abs. 3 S. 1 Nr. 2 mangels Praxisrelevanz kaum und bei Nr. 4 nicht zu erwarten. Um Einreise- und Aufenthaltsverbote „effektiver vollziehen zu können“ (BT-Drs. 20/9463, S. 47), hätte es der Änderung weder bedurft, noch trägt sie erkennbar etwas hierzu bei.

Die Anhebung der Haft-Höchstdauer entbindet nun von bisweilen komplexer Feststellung der alten Tatbestände im drei-bis-sechs-Monats-Haftbereich (dazu Kaniess aaO Kap. 2 Rn. 117 ff.). Allerdings spielt sich schon bisher das Gros der Fälle ohnehin im Bereich der alten drei-Monats-Grenze ab.

Die Änderung zum Einvernehmen dürfte materiell wenig bedeutsam werden: Schon bisher war in diesen Fällen regelmäßig mit der Erteilung des Einvernehmens zu rechnen, was ausreicht (Kaniess aaO Kap. 2 Rn. 136 f.). Auch prozessual ist der Unterschied marginal: Nach wie vor muss behördlich dargelegt werden, warum mit der Erteilung des Einvernehmens zu rechnen oder es nicht erforderlich ist (Kaniess Kap. 12 Rn. 77 ff.), so dass sich hierdurch lediglich die Anzahl der Fälle von der einen zur anderen Fallgruppe verschiebt.

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Ausreisegewahrsam (§ 62b AufenthG): Neuerungen 2024 (VerRückG)

Mit Inkrafttreten des sog. Rückführungsverbesserungsgesetzes werden sich für den Ausreisegewahrsam (§ 62b AufenthG) folgende Änderungen ergeben:

  • Der Gewahrsam kann statt bisher für zehn Tage nunmehr für bis zu 28 Tage angeordnet werden (§ 62b Abs. 1 S. 1 AufenthG nF).
  • Die jederzeit eine freiwillige Ausreise ermöglichende Vollzugsstelle (Kaniess Abschiebungshaft-HdB, 2. Aufl. 2024, Kap. 3 Rn. 18) muss zudem künftig nicht mehr im Nahbereich zur Grenzübergangsstelle liegen (§ 62b Abs. 2 nF). Dies dürfte regelhaft einen Vollzug in regulären Abschiebungshafteinrichtungen erlauben, da die Ausreisemöglichkeit auch von der Unterstützung durch Personal abhängen darf (BGH Beschl. v. 23.02.2021 – XIII ZB 50/20 – InfAuslR 2021, 339 – juris-Rn. 16).
  • Ein staatsanwaltschaftliches Einvernehmen (§ 72 Abs. 4 AufenthG; zG Kaniess aaO Kap. 2 Rn. 132 ff.) ist für die in S. 4 f. genannten Delikte auch im Falle von Tatmehrheit (§ 53 StGB) oder Strafantragstellung nun nicht mehr erforderlich.

Auswirkung auf die Praxis:

Der Ausreisegewahrsam als quasi-„kleine Abschiebungshaft“ war bisher nicht allzu häufig. Denn zwar ist er anforderungsärmer als die Sicherungshaft (§ 62 Abs. 3 AufenthG), allerdings reichte die Haftzeit häufig nicht zur Organisation der Abschiebung aus. Es ist daher zu erwarten, dass seine Anwendungsfälle mit der Verlängerung zunehmen könnten.

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Rückführungsverbesserungsgesetz beschlossen

Am 18.01.2024 hat der Bundestag das sog. Rückführungsverbesserungsgesetz (Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 24.11.2023 idF der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat vom 17.01.2024; Link zum Gesetzgebungsvorgang) beschlossen. Der Bundesrates hat am 02.02.2024 beschlossen, den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen. Das Gesetz ist noch nicht in Kraft getreten. Wesentliche Änderungen umfassen u.a.:

Nach Inkrafttreten des Gesetzes werden die Muster im Download-Bereich entsprechend aktualisiert.

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BGH: Hinweis auf § 62 FamFG nach Haftbeendigung

Erledigt sich ein auf Haftaufhebung gerichtetes Beschwerde- oder Haftaufhebungsverfahren durch Vollzug der Abschiebung oder Haftentlassung, wird es unzulässig. Es kann dann allerdings auf einen Antrag Feststellung der Rechtswidrigkeit der bisherigen Haft umgestellt und insofern zulässig weiter verfolgt werden (§ 62 FamFG; zG Kaniess Abschiebungshaft-HdB § 545 ff.).

Während das Gericht bei anwaltlich vertretenen Betr. auf die Möglichkeit zur Umstellung nicht hinweisen muss, hat der XII. Senat dies bei unvertretenen Betr. zur Wahrung des Rechtes auf ein faires Verfahren anders gesehen (Hinweis erforderlich, vgl. BGH Beschl. v. 20.6.2018 – XII ZB 489/17 – NJW 2018, 2566 – juris-Rn. 19). Ob sich der XIII. Senat dem anschließt, hat er allerdings offen gelassen (BGH Beschl. v. 21.3.2023 – XIII ZB 22/22 – juris-Rn. 4) und darüber hinaus darauf hingewiesen, dass eine Belehrung jedenfalls wg. § 184 S. 1 GVG auf deutsch genügt (BGH aaO juris-Rn. 5 ff.).

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BGH: Darlegung des Abschiebungstermins (§ 97a AufenthG)

Gelegentlich unterlassen Behörden in Haftanträgen die Darlegung eines (bereits bestehenden) konkreten Abschiebungstermins, da dieser gem. § 97a AufenthG der Geheimhaltung unterliege. Es fragt sich dann, ob die Darlegungen (§ 417Abs. 2 FamFG) hinreichen, um dem Gericht die Prüfung zu ermöglichen, dass die Haft so kurz wie möglich gehalten ist (zG Kaniess Abschiebungshaft-HdB Rn. 328 ff.).

Dabei ist zu beachten, dass die Preisgabe dieser Informationen zwar die Strafvorschrift des § 353 b StGB erfüllen kann; dies stellt § 97a AufenthG (eingefügt mWv 21.8.2019) allerdings nur klar und ändert die Rechtslage insofern nicht (Kaniess aaO Rn. 330 mwN). Die Offenbarung gegenüber dem Gericht ist nicht unbefugt und der Schutzzweck wird bei Inhaftierung auch nicht tangiert (so auch LG Paderborn Beschl. v. 13.01.2022 – 5 T 217/21 – juris-Rn. 30).

Der BGH hat nun allerdings en passant entschieden, dass eine Mitteilung der Kalenderwoche für die Abschiebung unter dem Gesichtspunkt hinreichender Darlegungen ausreiche, wenn die Behörde wg. § 97a AufenthG nicht konkreter werde (BGH Beschl. v. 28.2.2023 – XIII ZB 5/22 – juris-Rn. 10 iVm 19). Stellt man dem den Sachverhalt im vom LG Paderborn entschiedenen Fall gegenüber (dort Berufung auf Abschiebung „im Oktober“, ohne konkreter zu werden, LG Paderborn aaO juris-Rn. 3), erscheint der Fall des BGH als passabler Kompromiss; genauer als die Kalenderwoche muss es ggf. nicht werden (wobei zB auch im Haftantrag die Passage über den konkreten Termin vor Aushändigung an d. Betr. geschwärzt werden kann), ungenauer reicht aber nicht mehr hin.

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