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Kategorie: Nachrichten

Nachrichten aus der Rechtsprechung und Literatur zur Abschiebungshaft

BGH: Fax-Ladung von Prozessbevollmächtigten

Für das jeweilige Haftverfahren bestellten Prozessbevollmächtigten ist die Teilnahme am Termin zu ermöglichen. Kann dies nicht (zeitnah) geschehen, darf nur iWd einstweiligen Anordnung entschieden werden und ein neuer Termin ist vor der Entscheidung zur Hauptsache mit genügend Zeitvorlauf anzusetzen (zG Kaniess Abschiebungshaft-HdB Rn. 398 ff. mwN).

Bereits letztes Jahr hatte der BGH darauf hingewiesen, dass Fax-Ladungen im Eildienst mit kurzer Reaktionszeit problematisch sein können (vgl. hier im Blog). Das Gericht hat dies in zwei neuen Entscheidungen nun konkretisiert: Weder eine Fax-Ladung 56 Minuten vor dem Termin (BGH Beschl. v. 18.5.2021 – XIII ZB 32/19 – NVwZ-RR 2021, 822 – juris-Rn. 8) noch 01:48 Stunde vor dem Termin (BGH Beschl. v. 18.5.2021 – XIII ZB 46/19 – juris-Rn. 9) bietet eine hinreichende Teilnahmemöglichkeit. In solchen Fällen ist eine (Hauptsache-)Entscheidung unabhängig von den materiellen Haftvoraussetzungen in jedem Fall rechtswidrig (BGH aaO juris-Rn. 7 bzw. 8).

Auswirkung auf die Praxis:

Gerade im Eildienst sollten Ladungen von Prozessbevollmächtigten nicht per Fax, sondern ausschließlich per Telefon gehandhabt werden. Dies wird an meinem Gericht beständig so praktiziert und funktioniert problemlos. Ist ein bestellter RA nicht erreichbar, darf nur in der Hauptsache entschieden werden, wenn sich d. Betr. damit einverstanden erklärt (Kaniess aaO Rn. 402 mwN). Andernfalls ergeht (ggf. knapp begründete) einstweilige Anordnung (für zB drei Tage) mit regulärer Fax-Ladung zu einem Hauptsache-Termin in dieser Zeit.

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EGVP-Nutzungspflicht für Haftanträge ab 01.01.2022?

Mit am 01.01.2022 in Kraft tretendem § 14b FamFG ist eine Nutzungspflicht für das EGVP geregelt, welche auch behördliche Haftanträge betreffen kann. Gerade im Eildienst großer Gerichte (die zB nur ein EGVP für das Gesamtgericht haben) macht dies die Handhabung nicht einfacher, da oftmals per Fax oder persönlicher Übergabe ein schnellerer Zugriff auf behördliche Haftanträge möglich ist.

Allerdings muss die neue Norm nicht zwingend so ausgelegt werden, dass sie Anträge auf Anordnung von Abschiebungshaft umfasst: § 14b FamFG nF statuiert in Abs. 1 eine Nutzungspflicht des EGVP für Behörden in Bezug auf Anträge, die zwingend schriftlich einzureichen sind. Abs. 2 sieht vor, dass Behörden das EGVP für sonstige Anträge nutzen „sollen“. 

  • § 14b Abs. 1 FamFG nF knüpft damit an eine echte Rechtspflicht zur schriftlichen Antragstellung. Anträge können aber nach § 25 FamFG grds. auch mündlich/telefonisch gestellt werden, soweit besondere Regelungen nicht Schriftlichkeit vorschreiben (Sternal, in: Keidel, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 23 Rn. 19). Dies tut § 417 FamFG nicht. Vielmehr beschreibt die Norm nur den notwendigen Inhalt des Antrages, nicht die Art der Einreichung. Daher kann sich der Antrag zB zT auch aus dem Sitzungsprotokoll ergeben (BGH Beschl. v. 21.10.2010 – V ZB 96/10 – juris-Rn. 13). Das FamFG sieht zwingende Schriftform bei der Beschwerde vor (§ 64 Abs. 2 FamFG), iÜ nicht. Dass § 14b Abs. 1 FamFG nF damit für das FamFG weitgehend leer läuft, hat der Gesetzgeber gesehen und aufgrund der Besonderheiten des FamFG ggü. der ZPO bewusst in Kauf genommen (BT-Drs. 19/28399, S. 39 f.).
  • § 14b Abs. 2 FamFG nF erfasst sonstige Anträge, also auch solche betr. Abschiebungshaft. Für diese „soll“ das EGVP behördlich verwendet werden. Das heißt, im Regelfall muss es das, nur im atypischen Fall nicht. Der atypische Fall soll dabei aber nicht inhaltlich, sondern zeitlich zu verstehen sein: Mit § 14b Abs. 2 FamFG nF kann „bei Vorliegen besonderer Umstände auch auf andere Formen der Antragstellung ausgewichen werden (…). Die Gerichte werden dadurch – gerade im Bereitschaftsdienst – von der (…) umfangreichen und zeitaufwändigen Prüfung befreit, ob der Antragsteller zu den von der Nutzungspflicht des §14b FamFG umfassten Personen gehört und der Antrag in der gestellten Form zulässig ist.“ (BT-Drs. 19/28399, S. 40; Hervorhebung von Verf.).

Fälle der Abschiebungshaft, die im Eildienst vorkommen, dürften also nicht unter § 14b Abs. 1 FamFG nF fallen und sind nach der Gesetzesbegründung wohl ein atypischer Fall iSd § 14b Abs. 2 FamFG. Dies betrifft die gängige Konstellation der Verhaftung mit anschließender Antragstellung und Vorführung (§ 62 Abs. 5 AufenthG). Für sie ist Fax-Antragstellung daher wohl weiter zulässig. Dies wird nur dort anders sein, wo mit genügend zeitlichem Vorlauf (zB bei laufender Inhaftierung) Vorab-Haftanträge gestellt werden; diese dürften einen Regelfall des § 14b Abs. 2 FamFG darstellen mit der Folge grds. zwingender EGVP-Nutzung. 

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BGH: Vereitelung setzt Vollstreckungsmaßnahme voraus

Der Vermutungstatbestand der Fluchtgefahr in § 62 Abs. 3a Nr. 5 AufenthG setzt die Vereitelung einer konkreten, auf Abschiebung gerichteten Maßnahme voraus (zG Kaniess Abschiebungshaft-HdB Rn. 105 ff.). Dabei muss das Verhalten über eine lediglich passive Nichtmitwirkung hinausgehen.

Hierzu hat der BGH in der ersten Entscheidung nur aktuellen Gesetzesfassung klargestellt, dass Bezugspunkt der Maßnahme die Abschiebung – und nicht etwa die Vermeidung derselben – sein muss. Deswegen genügt nicht, wenn im Vorfeld Maßnahmen erfolglos geblieben sind, zB „die beteiligte Behörde aber gerade nicht die Abschiebung des Betroffenen vorbereitet, sondern ihm – zweimal – Gelegenheit gegeben [hat], freiwillig auszureisen.“ (BGH Beschl. v. 20.4.2021 – XIII ZB 47/20 – juris-Rn. 26) Wer dem nicht nachkommt, verteilt erstens keine Abschiebungsmaßnahme und wirkt zweitens lediglich passiv nicht mit, so dass der Vermutungstagbestand ausscheidet.

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BGH: Darlegung zu Zustellungen

Nach § 417 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 FamFG müssen Haftanträge die Verlassenspflicht darlegen: Bei aufenthaltsbeendenden Bescheiden muss die Behörde den Bescheid „nicht nur ausdrücklich benennen, sondern auch darlegen, aufgrund welcher Tatsachen von einer wirksamen Zustellung oder Zustellungsfiktion ausgegangen worden ist“ (BGH Beschl. v. 23.7.2020 – XIII ZB 87/19 – juris-Rn. 10). Daher muss „dem Antrag (…) zu entnehmen sein, (…) ob und in welcher Form eine Bekanntgabe (…) erfolgt ist (… , zB mittels ZU)“ (BVerfG Beschl. v. 9.2.2012 – 2 BvR 1064/10 – InfAuslR 2012, 186 – juris-Rn. 23 f.). Nur so kann haftrichterlich die Zustellung überprüft werden (zG Kaniess, Abschiebungshaft-HdB Rn. 33, 36, 55, 314 ff. mwN).

Dass dieser Anforderung mithilfe der Abschlussmitteilung des BAMF Genüge getan werden kann, ist zweifelhaft (vgl. hier im Blog). Dies hat den BGH bewogen, die Anforderung erheblich zurückzuschrauben: Nur wenn „auf Grund des vorgetragenen Sachverhalts (…) Zweifel an der Zustellung oder am Eingreifen der Zustellungsfiktion (bestehen), muss die beteiligte Behörde zur Zustellung bereits in ihrem Haftantrag nähere Ausführungen machen“ (BGH Beschl. v. 15.12.2020 – XIII ZB 93/19 – juris-Rn. 12). Die früher strengeren Anforderungen sollen damit ausdrücklich aufgegeben werden (BGH aaO Rn. 9).

Zu den diffizilen Fragen des § 10 Abs. 4 AsylG (dazu Kaniess aaO Rn. 34) inkl. der vormals erforderlichen Angabe zB zur hinreichenden Belehrung (§ 10 Abs. 7 AsylG, so noch BGH Beschl. v. 21.8.2019 – V ZB 10/19 – InfAuslR 2019, 453 – juris-Rn. 7 ff.) muss daher nur noch bei Zweifeln dargelegt werden (BGH aaO Rn. 11). Es soll fortan insgesamt genügen, wenn die Behörde „nachvollziehbar so vorträgt, dass der Haftrichter konkrete Nachfragen stellen kann“ (BGH aaO Rn. 10).

Auswirkung auf die Praxis:

Die Entscheidung ergeht im Kontext der (komplexen) Prüfung von Zustellungsfragen an oft unbekannt verzogene Personen, die sich Asyl-Entscheidungen nicht stellen. Hierfür bietet sie eine erhebliche Vereinfachung des Prüfungsmaßstabes, da sie die prozessrechtsdogmatische Grundlage für die (einfache) Berufung auf die BAMF-Abschlussmitteilungen schafft. Allerdings scheint erstens zweifelhaft, ob dies der vom BVerfG referenzierten Darlegung genügt. Zweitens fragt sich, wann Zweifel „auf Grund des vorgetragenen Sachverhalts“ bestehen – wird nicht gerade widersprüchlich dargelegt, scheint dies kaum denkbar.

Die Entscheidung kann einen Grundstein für schlanke Haftanträge legen: Nachvollziehbar so darzulegen, dass der Haftrichter „konkrete Nachfragen“ stellen kann, klingt einfach; die Maßstäbe der Nachvollziehbarkeit und Konkretheit sind vage. Derartige Kriterien laufen Gefahr – zumal zum Asylrecht entschieden, sprachlich aber generell gehalten und allgemein an § 417 Abs. 1 S. 2 FamFG angeknüpft – die bisherigen Darlegungsanforderungen in Frage zu stellen. Es bleibt abzuwarten, ob es sich um einen Sonderweg zur Asyl-Zustellung handelt oder zum generellen Trend in der Rspr des BGH entwickelt; letztes ist jedenfalls bisher trotz Berufung auf die og Entscheidung an späterer Stelle nicht der Fall (zB BGH Beschl. v. 23.3.2021 – XIII ZB 95/19 – juris-Rn. 6).

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BGH: Darlegung bei StA-Einvernehmen

Nach § 72 Abs. 4 S. 1 AufenthG darf, vorbehaltlich mehrerer Ausnahmen, ein Ausländer nur im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft abgeschoben werden, soweit gegen ihn ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren läuft (Kaniess Abschiebungshaft-HdB Rn. 151 ff.). Dabei handelt es sich (entgegen früherer Rspr.) um ein temporäres Abschiebungshindernis (vgl. hier im Blog), das folglich iRd Prognose der Durchführbarkeit der Abschiebung in der Haftzeit für das Haftgericht zu berücksichtigen ist.

Dabei war der BGH bei den nötigen Darlegungen vormals streng: So musste zB bezeichnet werden, „welche Staatsanwaltschaft für welches Verfahren“ ihr Einvernehmen erteilt hatte (BGH Beschl. v. 9.5.2019 – V ZB 188/17 – juris-Rn. 8) oder aus welcher GenStA-Verfügung samt Datum und Aktenzeichen sich ein generelles Einvernehmen ergab (BGH Beschl. v. 11.10.2012 – V ZB 72/12 – juris-Rn. 8), um die Angaben konkret überprüfbar zu machen.

Das wird künftig nicht mehr gelten: Nunmehr lässt der BGH bereits die pauschale Angabe ausreichen, dass aufgelistete Verfahren „entweder abgeschlossen, eingestellt bzw. die zuständige Staatsanwaltschaft (…) ihr Einvernehmen mit der Abschiebung gemäß § 72 Abs. 4 AufenthG erteilt [habe] bzw. die Straftat (…) vom generellen Einvernehmen durch die Generalstaatsanwaltschaft (…) gedeckt“ sei (BGH Beschl. v. 10.11.2020 – XIII ZB 69/19 – juris-Rn. 9).

Auswirkung auf die Praxis:

Die Rücknahme der Darlegungsanforderungen ist konsequent: Führt selbst ein von der Behörde fälschlich als bestehend oder nicht erforderlich angenommenes Einvernehmen nicht mehr zur Rechtswidrigkeit der Haft (BGH aaO juris-Rn. 10), geht es mangels Entscheidungserheblichkeit nicht mehr um die konkrete Überprüfbarkeit. Diesen Punkt mag man zweifelhaft finden (vgl. hier im Blog), folgt man dem allerdings, wird der Prüfungsmaßstab des Haftrichters abermals verringert.

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BGH: Haftgrund Fluchtgefahr bei Zurückweisungshaft

Nach der gesetzlichen Konzeption setzt Haft zur Verhinderung einer unerlaubten Einreise (Zurückweisungshaft, § 15 Abs. 5 AufenthG) keinen Haftgrund voraus. Vielmehr genügt es der Norm zufolge, wenn eine Zurückweisung an der Grenze nicht unmittelbar vollzogen werden kann, weil das Erfordernis dieser Haft durch den Versuch unerlaubter Einreise indiziert ist (BGH Beschl. v. 20.9.2017 – V ZB 118/17 – NVwZ 2018, 349 – juris-Rn. 12; zG Kaniess Abschiebungshaft-HdB Rn. 273 mwN).

Diese in der Lit. kritisierte Konzeption (zB Grotkopp Abschiebungshaft Rn. 295) hat der BGH nun aufgegeben: Richtlinienkonform bzgl. Art. 15 Abs. 1 Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) ist § 15 Abs. 5 AufenthG künftig bei Zurückweisung an einer Binnengrenzen der EU dahingehend erweiternd auszulegen, dass ein Haftgrund erforderlich ist. Handelt es sich um eine Zurückweisung

  • mit dem Ziel der Rückführung in den Heimatstaat, so muss einer der in § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und Nr. 3 AufenthG genannten Haftgründe (Fluchtgefahr oder Abschiebungsanordnung gem. § 58a AufenthG) vorliegen (BGH Beschl. v. 15.12.2020 – XIII ZB 133/19 – juris-Rn. 10). Die bloße unerlaubte Einreise genügt nicht (mehr), da richtlinienkonform nur die Nr. 1 und Nr. 3, nicht hingegen § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 AufenthG anwendbar sind (BGH aaO juris-Rn. 13).
  • mit dem Ziel der Überstellung in den gem. Dublin-III-Verordnung für die Prüfung eines Schutzantrages zuständigen Staat, so muss als Haftgrund erhebliche Fluchtgefahr nach Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO iVm § 2 Abs. 14 S. 2 und S. 1 iVm § 62 Abs. 3a und 3b Nr. 1 bis Nr. 5 AufenthG vorliegen (BGH aaO juris-Rn. 14)

Die Erweiterung der Voraussetzungen der Haftnorm hat jedoch damit ihr Bewenden. Auch weiterhin verbleibt es dabei (eingehend Kaniess aaO Rn. 270 ff. mwN), dass die der Haft zugrundeliegenden Zurückweisung vom Haftrichter vorbehaltlich verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen unkontrolliert hinzunehmen ist; auch einer Vollstreckungsandrohung bedarf es nach wie vor nicht (BGH aaO juris-Rn. 8).

Auswirkung auf die Praxis:

Diese neue Linie des BGH darf angesichts des Umstandes, dass sie zeitgleich in mehreren Entscheidungen veröffentlicht wurde (BGH aaO; Beschl. v. 15.12.2020 – XIII ZB 16/20; Beschl. v. 15.12.2020 – XIII ZB 28/20; Beschl. v. 15.12.2020 – XIII ZB 139/19), als gesicherter Leitfaden für die Praxis dienen. Die og Haftgründe sind nunmehr erforderlich und damit auch Haftanträge, die diese nicht (hinreichend) darlegen, unzulässig (vgl. dazu Kaniess aaO Rn. 321 f.).

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BGH: Darlegung bei Rücknahmeabkommen

In Haftanträgen muss konkret zielstaatsbezogen dargelegt werden, welche Schritte bis zur Abschiebung durchlaufen werden müssen (stRspr BGH Beschl. v. 12.11.2019 – XIII ZB 5/19 – juris-Rn. 10). Dies dient dazu, dem Haftrichter die Prüfung zu ermöglichen, ob die beantragte Haftzeit so kurz wie möglich gehalten ist (Kaniess Abschiebungshaft-HdB Rn. 328 ff. mwN).

Besteht mit dem Zielstaat ein Rücknahmeabkommen, sind „die nach diesem durchzuführenden entscheidenden Schritte in dem Haftantrag darzustellen“ (BGH Beschl. v. 15.11.2018 – V ZB 251/17 – juris-Rn. 7; zG Kaniess aaO Rn. 342 f. mwN). Dies setze schon nach bisheriger Rspr nicht zwingend voraus, dass das Abkommen normativ konkret zitiert wird, wohl aber, dass das Bestehen (irgend)eines Abkommens erwähnt und die nötigen Schritte dargestellt werden (BGH Beschl. v. 16.6.2016 – V ZB 12/15 – InfAuslR 2016, 429 – juris-Rn. 9).

Nunmehr geht der BGH noch einen Schritt weiter: Auch, wenn das Abkommen „nicht erwähnt“ wird, kann es genügen, „wenn die Verfahrensschritte, die nach den einschlägigen völkervertrags- oder unionsrechtlichen Regelungen für die Überprüfung der erforderlichen Dauer der Haft entscheidend sind, so dargestellt werden, dass der Haftrichter in eine Prüfung eintreten kann.“ (BGH Beschl. v. 6.1.2020 – XIII ZB 114/19 – juris-Rn. 10 – Hervorhebung durch Verf.)

Auswirkung auf die Praxis:

Entscheidend ist, dass die Notwendigkeit der Haftzeit richterlich geprüft werden kann: Soweit der Haftantrag dies durch konkrete Darlegung der Einzelschritte ermöglicht, ist er zulässig. Eine abstrakte (und sich oft in dieser Abstraktheit fälschlicherweise auch erschöpfende) Darlegung der Inhalte von Rücknahmeabkommen ist nicht erforderlich; die vergessene Erwähnung des Abkommens rechtfertigt allein keine Zurückweisung des Antrages (mehr).

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BGH: Übersetzung von Anlagen, Anwaltsladung per Fax

In mehreren Entscheidungen hat der 13. Senat des BGH einzelne prozessuale Fragen konkretisiert. Dies betrifft die folgenden Fälle:

  • Dem Betroffenen muss zu Beginn (oder vor) der Anhörung der komplette Haftantrag übergeben und vollständig übersetzt werden, inkl. schriftlicher Nachträge oder Ergänzungen (zG Kaniess Abschiebungshaft-HdB Rn. 427 f. mwN). Der Antrag enthält oft auch Anlagen oder Fundstellen der Ausländerakte, die grds. nicht übersetzt werden müssen: Denn die Übersetzungspflicht umfasst „nur die Unterlagen (…), die für die Rechtswahrung des Betroffenen wesentlich sind. Unterlagen, die die Angaben der beteiligten Behörde im Haftantrag nur belegen, aber keine darüber hinausgehenden wesentlichen Angaben enthalten, gehören regelmäßig nicht dazu.“ (BGH Beschl. v. 10.11.2020 – XIII ZB 69/19 – juris-Rn. 12)
  • Auch im haftrichterlichen Eildienst muss versucht werden, einen vom Betroffenen benannten Rechtsanwalt zu erreichen; bei Unerreichbarkeit ist, soweit sich der Betroffene nicht mit einer Verhandlung ohne Anwalt einverstanden erklärt, einstweilig zu entscheiden und ein Termin zur Hauptsache mit dem Prozessbevollmächtigten anzusetzen (zG Kaniess aaO Rn. 402 mwN). Gerade kurzfristige Ladungen sollten telefonisch erfolgen, da dem Rechtsanwalt die tatsächliche Teilnahme ermöglicht werden muss: Wird mit einem Vorlauf von nur gut zwei Stunden per Fax geladen, genügt dies nicht, da die Reaktionszeit zu kurz ist (BGH Beschl. v. 10.11.2020 – XIII ZB 129/19 – juris-Rn. 9).

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AG Tg: Keine Entziehung bei Ankündigung von „Widerstand“

Der Vermutungstatbestand der Fluchtgefahr in § 62 Abs. 3a Nr. 6 AufenthG setzt die Erklärung einer Entziehungsabsicht voraus (zG Kaniess Abschiebungshaft-HdB Rn. 109 ff.). Sie liegt vor, wenn erklärt wird, dass keine freiwillige Ausreise und kein zur-Verfügung-Halten für eine zwangsweise Ausreise beabsichtigt ist (BGH Beschl. v. 23.1.2018 – V ZB 53/17 – InfAuslR 2018, 187 – juris-Rn. 10).

In der Praxis wird oft nicht präzise genug zwischen beiden (kumulativen) Voraussetzungen getrennt. So sahen aktuelle Haftanträge in der bei Verhaftung (formularmäßig) erklärten Ankündigung von „Widerstand“ gegen eine Abschiebung eine Entziehungserklärung. Die Erklärung dürfte aber nur fehlende Ausreisebereitschaft, nicht jedoch die zweite Voraussetzung begründen:

„(D)er Wortlaut (…) lässt verschiedene Auslegungen zu. So ist Widerstand auch rechtlich möglich, zB durch Eilantragstellung beim Verwaltungsgericht. (…) Ebenso kann Widerstand rein passiv erfolgen, was für sich genommen ebenfalls kein aktives Entziehen durch zB Untertauchen begründen würde. Passiver Widerstand wäre aber lediglich fehlende Mitwirkung bei der Ausreise und (…) nur der Grund für die Abschiebung als Verwaltungszwangsverfahren, aber kein Haftgrund. Dabei ist das Wort ‚Widerstand‘ auch schon dem allgemeinen Sprachgebrauch gemäß auf eine Interaktion zwischen Beteiligten gerichtet; ein Widerstand ggü. Abwesenden wäre sprachlich mindestens schief. Ein vom Antragsteller angenommenes Entziehen würde aber gerade im Erfolgsfalle diese Abwesenheit begründen und daher sprachlogisch gegen einen Widerstand sprechen.“ (AG Tiergarten Beschl. v. 22.1.2021 – 381 XIV 10/21 B – juris-Rn. 12 – rkr.)

Auswirkung auf die Praxis:

Bei § 62 Abs. 3a Nr. 6 AufenthG ist genau darauf zu achten, ob die Erklärung ein Verhalten ankündigt, das normale Verwaltungszwangsmittel ins Leere laufen ließe. Nur dann kann der Vermutungstatbestand für Haft einschlägig sein, andernfalls muss die Behörde mit den Mitteln des Verwaltungszwangs (zB bei Direktabschiebungen) tätig werden.

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BGH: Darlegung mithilfe der Abschlussmitteilung des BAMF

Haftanträge müssen, um zulässig zu sein, die vollzieh- und vollstreckbare Ausreisepflicht darlegen (Kaniess Abschiebungshaft-HdB Rn. 314 ff. mwN). Insbes. beim Referat der Bescheidlage passieren hier häufig Fehler, weil zwar geschrieben wird, Bescheide seien zugestellt, jedoch nicht, „aufgrund welcher Tatsachen von einer wirksamen Zustellung oder Zustellungsfiktion“ auszugehen ist (BGH Beschl. v. 23.6.2020 – XIII ZB 87/19 – juris-Rn. 10). Diese ist aber haftrichterlich zu prüfen, weil es sonst an den Voraussetzungen für die Abschiebungshaft mangelt (BVerfG Beschl. v. 9.2.2012 – 2 BvR 1064/10 – InfAuslR 2012, 186 – juris-Rn. 23-25).

Praktisch häufig werden in Asylverfahren Abschlussmitteilungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge als Anlage zum Haftantrag referenziert, die das Datum der Zustellung und der Bestandskraft des (ablehnenden) Asylbescheides nennen. Sie enthalten allerdings keine tatsächlichen Angaben, anhand derer das Gericht die Wirksamkeit der Zustellung und damit die Richtigkeit dieser Angaben prüfen könnte. Deswegen wurden sie in Vergangenheit bisweilen als nur für eine einstweilige Haftanordnung, nicht aber für eine Hauptsache-Entscheidung ausreichend angesehen (Kaniess aaO Rn. 316 aE, 708 Nr. 1 aE).

Allerdings soll anhand dieser Mitteilungen nach neuer Rspr des BGH nun gleichwohl die wirksame Zustellung feststellbar sein. Denn von der Richtigkeit der Mitteilung soll auszugehen sein: Weitergehende „[a]mtswegige Ermittlungen nach § 26 FamFG sind nur veranlasst, wenn sich Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Abschlussmitteilung ergeben.“ (BGH Beschl. v. 24.8.2020 – XIII ZB 83/19 – juris-Rn. 26) Würden daher im Haftantrag Aslybescheid und Abschlussmitteilung referenziert, reiche dies, um die Ausreisepflicht darzulegen und gerichtlicherseits festzustellen (BGH aaO).

Auswirkung auf die Praxis:

Ohne Prüfung der gem. § 31 Abs. 1 S. 3 AsylG nötigen wirksamen Zustellung eines ablehnenden Asylbescheides darf keine Haft angeordnet werden. Die Abschlussmitteilung hierfür ausreichen zu lassen, ist kritisch: Sie ist behördliche Nachricht, keine öffentliche Urkunde gem. § 418 ZPO, zumal sie nicht einmal gesetzlich vorgesehen ist. Sie einer PZU gleichzustellen (welche die wirksame Zustellung von Bescheiden belegen kann, Kaniess aaO Rn. 314 mwN), überzeugt daher nicht. Dies spricht dafür, Darlegungen mithilfe von Abschlussmitteilungen weiterhin nur als für eine einstweilige Anordnung (§ 427 FamFG) hinreichend zu halten, für die Hauptsache aber die Darlegung der konkreten Tatsachen der Zustellung zu fordern.

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