Nach § 417 Abs. 2 S. 3 FamFG „soll“ die Behörde die Ausländerakte zusammen mit dem Antrag vorlegen. Bereits früh hat der BGH klargestellt, dass die Aktenvorlage keine Zulässigkeitsvoraussetzung für den Antrag ist (BGH Beschl. v. 10.6.2010 – V ZB 204/09 – NVwZ 2010, 1172 – juris-Rn. 8), die Akte aber regelmäßig beizuziehen sei, um der Pflicht zur Amtsermittlung (§ 26 FamFG) zu genügen (zG Kaniess, Abschiebungshaft-HdB, Rn. 287 mwN).
Der in der Vergangenheit gelegentlich gelebten Praxis, die Akte nicht beizuziehen, hat deswegen das BVerfG in einem obiter dictum bzgl. eines aus 2014 stammenden Falles eine Absage erteilt: „Die Nichtbeiziehung der Ausländerakte – jedenfalls ohne jegliche Begründung – belastet die gleichwohl angeordnete Abschiebungshaft mit dem Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung, der durch die Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist“ (BVerfG Beschl. v. 14.5.2020 – 2 BvR 2345/16 – InfAuslR 2020, 343 – juris-Rn. 54).
Den Maßstab hat in der Folge der BGH konkretisiert: Der Regel-Verpflichtung des § 417 Abs. 2 S. 3 FamFG genügt eine „vorhergehende Übersendung der relevanten Aktenstücke und die Vorlage der kompletten Ausländerakte“ im Termin (BGH Beschl. v. 31.8.2021 – XIII ZB 87/20 – juris-Rn. 11). Die nach meiner Erfahrung gängige Praxis der Übersendung digitaler Aktenauszüge (zB als PDF per E-Mail, EGVP oder Download-Link) oder des Mitbringens von Akten zum Termin dürfte daher nicht zu beanstanden sein. Gänzlich ohne Akte oder ihre wesentlichen Auszüge dürfte aber eher eine einstweilige Anordnung in Betracht kommen (Kaniess aaO); dies ist jedoch heute ohnehin kein Standard mehr.
Auswirkung auf die Praxis:
Von der Frage der grds. Notwendigkeit zur Akten-Beiziehung ist die Frage nach der notwendigen Intensität des Akten-Studiums zu trennen. Hier dürfte folgende grobe Regel gelten: Grds. hat der Antrag alle entscheidungserheblichen Angaben vollständig zu enthalten. Tut er dies nicht, kann (nicht: muss, Kaniess aaO Rn. 358) das Gericht fehlende Aspekte mithilfe der Akte feststellen. Wird von einem Beteiligten etwas bestritten, muss das Gericht dies mithilfe der Akte überprüfen (BGH Beschl. v. 20.4.2021 – XIII ZB 47/20 – juris-Rn. 29).