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Abschiebungshaft-Buch Beiträge

BGH: Hinweis auf § 62 FamFG nach Haftbeendigung

Erledigt sich ein auf Haftaufhebung gerichtetes Beschwerde- oder Haftaufhebungsverfahren durch Vollzug der Abschiebung oder Haftentlassung, wird es unzulässig. Es kann dann allerdings auf einen Antrag Feststellung der Rechtswidrigkeit der bisherigen Haft umgestellt und insofern zulässig weiter verfolgt werden (§ 62 FamFG; zG Kaniess Abschiebungshaft-HdB § 545 ff.).

Während das Gericht bei anwaltlich vertretenen Betr. auf die Möglichkeit zur Umstellung nicht hinweisen muss, hat der XII. Senat dies bei unvertretenen Betr. zur Wahrung des Rechtes auf ein faires Verfahren anders gesehen (Hinweis erforderlich, vgl. BGH Beschl. v. 20.6.2018 – XII ZB 489/17 – NJW 2018, 2566 – juris-Rn. 19). Ob sich der XIII. Senat dem anschließt, hat er allerdings offen gelassen (BGH Beschl. v. 21.3.2023 – XIII ZB 22/22 – juris-Rn. 4) und darüber hinaus darauf hingewiesen, dass eine Belehrung jedenfalls wg. § 184 S. 1 GVG auf deutsch genügt (BGH aaO juris-Rn. 5 ff.).

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BGH: Darlegung des Abschiebungstermins (§ 97a AufenthG)

Gelegentlich unterlassen Behörden in Haftanträgen die Darlegung eines (bereits bestehenden) konkreten Abschiebungstermins, da dieser gem. § 97a AufenthG der Geheimhaltung unterliege. Es fragt sich dann, ob die Darlegungen (§ 417Abs. 2 FamFG) hinreichen, um dem Gericht die Prüfung zu ermöglichen, dass die Haft so kurz wie möglich gehalten ist (zG Kaniess Abschiebungshaft-HdB Rn. 328 ff.).

Dabei ist zu beachten, dass die Preisgabe dieser Informationen zwar die Strafvorschrift des § 353 b StGB erfüllen kann; dies stellt § 97a AufenthG (eingefügt mWv 21.8.2019) allerdings nur klar und ändert die Rechtslage insofern nicht (Kaniess aaO Rn. 330 mwN). Die Offenbarung gegenüber dem Gericht ist nicht unbefugt und der Schutzzweck wird bei Inhaftierung auch nicht tangiert (so auch LG Paderborn Beschl. v. 13.01.2022 – 5 T 217/21 – juris-Rn. 30).

Der BGH hat nun allerdings en passant entschieden, dass eine Mitteilung der Kalenderwoche für die Abschiebung unter dem Gesichtspunkt hinreichender Darlegungen ausreiche, wenn die Behörde wg. § 97a AufenthG nicht konkreter werde (BGH Beschl. v. 28.2.2023 – XIII ZB 5/22 – juris-Rn. 10 iVm 19). Stellt man dem den Sachverhalt im vom LG Paderborn entschiedenen Fall gegenüber (dort Berufung auf Abschiebung „im Oktober“, ohne konkreter zu werden, LG Paderborn aaO juris-Rn. 3), erscheint der Fall des BGH als passabler Kompromiss; genauer als die Kalenderwoche muss es ggf. nicht werden (wobei zB auch im Haftantrag die Passage über den konkreten Termin vor Aushändigung an d. Betr. geschwärzt werden kann), ungenauer reicht aber nicht mehr hin.

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BGH: Anzeige rechtsanwaltlicher Bestellung

Das Recht des Betroffenen, sich in jeder Lage des Verfahrens rechtsanwaltlichen Beistandes zu bedienen, ist ein hohes Gut und darf durch die Verfahrensgestaltung des Gerichtes nicht vereitelt werden (zG Kaniess Abschiebungshaft-HdB Rn. 393 ff.). Hierzu hat der BGH allerdings klargestellt, dass die Wahrnehmung dieses Rechtes eine Mitwirkung des Betroffenen voraussetzt.

Die Bestellung rechtsanwaltlichen Beistandes muss dem Gericht mitgeteilt werden und sich auf das konkrete Verfahren beziehen (Bestellungen in früheren ausländer- oder asylrechtliche Verfahren machen die Mitteilung nicht entbehrlich, da dies separate Verfahren sind, BGH Beschl. v. 28.2.2023 – XIII ZB 70/21 – juris-Rn. 10; Beschl. v. 26.1.2021 – XIII ZB 14/20 – juris-Rn. 16). Ist die Mitteilung nicht schon schriftsätzlich erfolgt, muss dies durch den Betroffenen stattfinden: Geschieht das „trotz ausdrücklicher Belehrung über (das) Recht, einen Rechtsanwalt zu der Anhörung hinzuziehen, nicht“, ist die Bestellung für das Gericht unbeachtlich; denn es ist „Aufgabe (d.) Betroffenen und (ihm) auch zumutbar (…), das Gericht auf seine ausdrückliche Frage über eine etwaige Mandatierung (…) zu unterrichten“ (BGH Beschl. v. 28.2.2023 aaO juris-Rn. 12).

Eine bloße Bitte am Ende des Termins, den ergangenen Beschluss einem bestimmten Rechtsanwalt mitzuteilen, ändert diesen Befund nicht (BGH Beschl. v. 28.2.2023 aaO juris-Rn. 13).

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BGH: Anträge und Beschwerde von Vertrauenspersonen

In den letzten Entscheidungen des 13. Senats waren zahlreiche von Vertrauenspersonen geführte Beschwerden gegenständlich. Zu diesem Problemkomplex hat der BGH mehrere prozessuale Aspekte präzisiert:

  • Ein mit einem Trägerverfahren verbundener Feststellungsantrag (Kaniess aaO Rn. 543 ff., zB Beschwerde oder Haftaufhebungsverfahren) erfasst immer einen bestimmten Zeitraum. Ist dieser aber zB durch eine frühere Feststellungsentscheidung bereits rechtskräftig entschieden oder ist derselbe Zeitraum zB durch Feststellungsanträge in parallel geführten Beschwerde- und Haftaufhebungsverfahren rechtshängig, steht dem zuletzt erhobenen Antrag Rechtskraft (BGH Beschl. v. 17.1.2023 – XIII ZB 20/21 – juris-Rn. 7 f.) bzw. Rechtshängigkeit (BGH Beschl. v. 12.2.2023 – XIII ZB 58/21 – juris-Rn. 11) des früheren Antrages entgegen.
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BGH: Verhältnis RA/in zu Verfahrenspfleger/in (insbes. im Termin)

In Freiheitsentziehungssachen hat d. Betr. Anspruch auf rechtsanwaltlichen Beistand, obgleich – anders als in StPO-Haftsachen (§ 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO) – nur im Falle der VKH-Gewährung mit Beiordnung auf Staatskosten (zG Kaniess Abschiebungshaft-HdB Rn. 405 ff.). Der BGH hat in einer jüngeren Entscheidung nun noch einmal konkretisiert, wie sich Beistand und Verfahrenspfleger/in zueinander verhalten:

  • Verfahrenspfleger/in ist gem. § 419 FamFG eine Person, welche in Ansehung gesundheitlicher Gründe (aus meiner Praxis zB bei psychisch beeinträchtigten Betr.) die Berücksichtigung der Interessen d. Betr. im Verfahren sicherstellen soll und damit – entgegen der Praxis in manchen Bundesländern – in Abschiebungshaftsachen regelmäßig nicht erforderlich ist (BGH Beschl. v. September 2013 – V ZB 212/12 – FamRZ 2014, 195 – juris-Rn. 9 f.; zG Kaniess aaO Rn. 390 ff.)
  • Rechtsanwaltliche Vertretung ist demgegenüber eine unabhängige Beratung und Vertretung d. Betr. und hat dessen „(rechtlichen) Interessen vollumfänglich wahrzunehmen“: „Vor diesem Hintergrund kann die Bestellung eines Verfahrenspflegers die von dem Betroffenen gewünschte Hinzuziehung eines Rechtsanwalts von vornherein nicht ersetzen.“ (BGH Beschl. v. 22.2.2022 – XIII ZB 74/20 – juris-Rn. 17). Insbes. muss dann, soweit ein Anhörungstermin lediglich mit Verfahrenspfleger/in, aber nicht mit dem durch d. Betr. gewünschten rechtsanwaltlichen Beistand stattgefunden hat, im Falle einer Beschwerde erneuter Termin (zur Abhilfeprüfung am AG bzw. sonst zur Entscheidung über die Beschwerde am LG) in Anwesenheit (auch) des Beistandes stattfinden (BGH aaO juris-Rn. 18).

Auswirkung auf die Praxis:

Besteht d. Betr. auf einen bestimmten rechtsanwaltlichen Beistand, kann dieser Wunsch grds. nicht durch Beiordnung e. anderen Verfahrenspfleger/in erfüllt werden. Ist d. durch d. Betr. gewünschte RA/in nicht anwesend, darf grds. nur einstweilig entschieden werden. Soweit d. Betr. aber angesichts anwesender Verfahrenspflegschaft (=sinnvollerweise RA/in) auf weitere/n RA/in verzichtet und sich zur Sache einlässt, kann (auch in der Hauptsache) entschieden werden (zG Kaniess aaO Rn. 402).

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BGH: „Falscher“ Zielstaat der Abschiebung

In der Praxis sind Betr. gelegentlich bereit, sich der Abschiebung zu beugen – indes nicht in den konkreten Zielstaat. Die Rüge in der Haftanhörung, eine Abschiebung sei vorrangig in einen alternativen Zielstaat vorzunehmen, zB weil hier ein Schutzverfahren laufe oder Aufenthaltsrecht bestehe, ist haftrechtlich jedoch nicht erfolgversprechend:

Die Auswahl des Zielstaates obliegt der die Abschiebung betreibenden Behörde (zG Kaniess Abschiebungshaft-HdB Rn. 9, 219 mwN). Zu prüfen ist daher nicht, ob „als Alternative zur Abschiebung des Betroffenen in sein Heimatland seine Abschiebung nach Lettland (…), wo ihm eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war“, vorrangig wäre: Insofern hat das Haftgericht „von der Entschließung der beteiligten Behörde auszugehen, die Abschiebung durch Rückführung des Ausländers in sein Heimatland oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat zu vollziehen (…). Ob diese Entscheidung sachlich richtig ist, haben nicht die Haftgerichte, sondern die Verwaltungsgerichte zu prüfen (…).“ (BGH Beschl. v. 31.8.2021 – XIII ZB 81/20 – NVwZ-RR 2022, 237 – juris-Rn. 10; BGH Beschl. v. 31.8.2021 – XIII ZB 82/20 – juris-Rn. 10; Hervorhebung von Verf.)

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BGH: Faires Verfahren (Anwalts-Anwesenheit, Akteneinsicht)

In mehreren Entscheidungen hat der 13. Senat des BGH einzelne Fragen zum fairen Verfahren konkretisiert. Dies betrifft die folgenden Fälle:

  • Bei Unerreichbarkeit des rechtsanwaltlichen Beistands d. Betr. muss zunächst im Wege einstweiliger Anordnung (eA) entschieden werden, um einen Hauptsache-Termin in Anwesenheit des Beistands zu ermöglichen (zG Kaniess, Abschiebungshaft-HdB, Rn. 408 mwN). Ist dies zunächst geschehen, der Beistand aber auch dann bis zum letzten Tag der einstweiligen Haft verhindert, muss ggf. erneut eine einstweilige Anordnung („Ketten-eA“) ergehen (BGH Beschl. v. 20.7.2021 – XIII ZB 98/19 – juris-Rn. 8 f., bes. 9). Die gelegentliche amtsgerichtliche Praxis, eine eA nur bis zum Ende des Folgetages zu erlassen, ist daher unpraktisch; vier bis sieben Tage sind praktischer, Behörden sollten dies bei Stellung des einstweiligen Antrages berücksichtigen und ihn nicht zu kurz fassen.
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BGH: Zeitpuffer für „allfällige Verzögerungen“

Die Dauer der erforderlichen Haft bemisst sich grds. danach, bis wann ein Betr. abgeschoben werden kann. Allerdings ergeben sich gelegentlich Verzögerungen zB durch Ausfall eines Fluges oder ein Scheitern der Abschiebung, wobei Letzteres zB im Falle einer Verantwortlichkeit d. Betr. zu einer Verlängerung der Haft führen kann (vgl. zB § 62 Abs. 3a Nr. 5 AufenthG).

Um für solche Fälle genug Zeit zur Reaktion zu haben, billigt der BGH in stRspr einen sog. „zeitlichen Puffer für allfällige Verzögerungen“. In mehreren Entscheidungen hat das Gericht nun anknüpfend an eine frühere Entscheidung bestätigt, dass dieser regelmäßig bis zu sechs Tage nach dem eigentlichen Abschiebungstermin betragen darf (zB BGH Beschl. v. 20.7.2021 – XIII ZB 98/19 – juris-Rn. 16; Beschl. v. 14.7.2020 – XIII ZB 74/19 – juris-Rn. 16; Beschl. v. 20.10.2016 – V ZB 167/14 – juris-Rn. 13).

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BGH: Anforderungen an den Transitaufenthalt

In mehreren Entscheidungen hat der 13. Senat des BGH einzelne Fragen zum Transitaufenthalt konkretisiert. Dies betrifft die folgenden Fälle:

  • Trotz der Regelung des Art. 17 Abs. 3 Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) stellt es „kein strukturelles Defizit“ (welches sonst Unverhältnismäßigkeit begründen würde) dar, dass im Transitaufenthalt „kein Zugang zu Bildung ermöglicht wird“, da der Aufenthalt „nicht auf längere Dauer angelegt“ ist (BGH Beschl. v. 20.7.2021 – XIII ZB 94/19 – NVwZ-RR 2022, 237 – juris-Rn. 13; Hervorhebung von Verf.).
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BVerfG/BGH: Beiziehung der Ausländerakte

Nach § 417 Abs. 2 S. 3 FamFG „soll“ die Behörde die Ausländerakte zusammen mit dem Antrag vorlegen. Bereits früh hat der BGH klargestellt, dass die Aktenvorlage keine Zulässigkeitsvoraussetzung für den Antrag ist (BGH Beschl. v. 10.6.2010 – V ZB 204/09 – NVwZ 2010, 1172 – juris-Rn. 8), die Akte aber regelmäßig beizuziehen sei, um der Pflicht zur Amtsermittlung (§ 26 FamFG) zu genügen (zG Kaniess, Abschiebungshaft-HdB, Rn. 287 mwN).

Der in der Vergangenheit gelegentlich gelebten Praxis, die Akte nicht beizuziehen, hat deswegen das BVerfG in einem obiter dictum bzgl. eines aus 2014 stammenden Falles eine Absage erteilt: „Die Nichtbeiziehung der Ausländerakte – jedenfalls ohne jegliche Begründung – belastet die gleichwohl angeordnete Abschiebungshaft mit dem Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung, der durch die Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist“ (BVerfG Beschl. v. 14.5.2020 – 2 BvR 2345/16 – InfAuslR 2020, 343 – juris-Rn. 54).

Den Maßstab hat in der Folge der BGH konkretisiert: Der Regel-Verpflichtung des § 417 Abs. 2 S. 3 FamFG genügt eine „vorhergehende Übersendung der relevanten Aktenstücke und die Vorlage der kompletten Ausländerakte“ im Termin (BGH Beschl. v. 31.8.2021 – XIII ZB 87/20 – juris-Rn. 11). Die nach meiner Erfahrung gängige Praxis der Übersendung digitaler Aktenauszüge (zB als PDF per E-Mail, EGVP oder Download-Link) oder des Mitbringens von Akten zum Termin dürfte daher nicht zu beanstanden sein. Gänzlich ohne Akte oder ihre wesentlichen Auszüge dürfte aber eher eine einstweilige Anordnung in Betracht kommen (Kaniess aaO); dies ist jedoch heute ohnehin kein Standard mehr.

Auswirkung auf die Praxis:

Von der Frage der grds. Notwendigkeit zur Akten-Beiziehung ist die Frage nach der notwendigen Intensität des Akten-Studiums zu trennen. Hier dürfte folgende grobe Regel gelten: Grds. hat der Antrag alle entscheidungserheblichen Angaben vollständig zu enthalten. Tut er dies nicht, kann (nicht: muss, Kaniess aaO Rn. 358) das Gericht fehlende Aspekte mithilfe der Akte feststellen. Wird von einem Beteiligten etwas bestritten, muss das Gericht dies mithilfe der Akte überprüfen (BGH Beschl. v. 20.4.2021 – XIII ZB 47/20 – juris-Rn. 29).

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